Regionale Produkte und Rezepte aus der Ferne / Гостинцы из путешествий

Donnerstag, 21. Dezember 2017

Grünkern. Cucina povera nach Bauländer Art

Bauländer Spelz, Dinkelsorte.

Ich bin keine Vegetarierin, aber wenn ich zum Beispiel auf den Kanaren bin, dann freue ich mich mehr auf regionale papas arrugadas (Kartoffeln), als auf Gerichte vom Fleisch des kanarischen schwarzen Schweins cochino negro. Ich lerne gern neue Gemüse- oder Getreidesorten kennen, bekomme immer wieder Lust Zuhause etwas nachzumachen und mit neuen Lebensmitteln zu experimentieren, exotische oder seltene Gemüse-, Obstsorten im eigenen Garten zu pflanzen, wenn sie nicht in der Nähe zu finden sind.
Bauländer Spelz, Dinkelsorte. Bauland in Odenwald

Im Sommer machte ich eine Entdeckung und zwar nicht in der Ferne, sondern ganz nah, im „inneren“ Deutschlands, in Odenwald. Das war der Grünkern - noch vor der Reife geernteter und gedarrter Dinkel. Nicht nur das Produkt selbst, sondern auch die Geschichte der Entstehung ist sehr interessant.
Not macht erfinderisch. Schwaben sind die besten Erfinder.
Diese zwei Erkenntnisse auf einmal machen Wunder. Ein Beispiel? Alle kennen die Geschichte, wie das Laufrad erfunden wurde. Die Ursache war ein Vulkanausbruch im Jahr 1815: der Supervulkan Tambora in Indonesien sorgte für einen vulkanischen Winter in Europa in 1816 und später. Ähnliche Ereignisse wiederholten sich früher unter anderen in Jahren 1601, 1618, 1628. Man sagt, dass der Supervulkan wieder Schuld war, dass der Klimawandel damals, diese schlechten kalten nassen Sommer die Ursache für ständige Hungersnot, die erfinderisch machte, waren. Die Bauern in Odenwald kamen auf Idee vorzeitig Dinkel zu ernten, noch bevor das Korn durch Feuchtigkeit und Pilze (Mutterkorn) verderben konnte.
Unreifen Dinkel konnte man schlecht mahlen und auch nicht lagern. Man musste das Korn trocknen. Zuerst wurde das in einer Pfanne auf dem Herd / in Backofen gemacht.

Darrenstraße in Walldürn

Darrenstraße in Walldürn

Das erste Mal wurde der Grünkern  in 1660 (Kellereirechnung des Klosters Amorbach) erwähnt. Später im 19. Jahrhundert wurden für die Trocknung des unreifen Dinkels spezielle Darren entwickelt, die man wegen der Brandgefahr außerhalb des Dorfes baute. Danach, als die Grünkernproduktion auf dem Höhepunkt war, kamen industrielle Anlagen.  

Moderne Darre

In der Nachkriegszeit ging die Grünkernproduktion zurück, war aber nie ganz vergessen. Besonders in der Region Bauland (Odenwald) ist diese lokale Spezialität noch immer präsent.  

Unreifen Dinkel wird gedarrt


Bauländer Spelz


Zu unserem Glück, würde ich sagen. Weil der Grünkern nicht nur gut schmeckt (ganz oder geschrotet), sondern auch besondere Eigenschaften hat. Grünkern ist glutenfrei, reicher als Dinkel an hochwertigen Eiweiß und Mineralien. Sättigend ist er auch. Vegetarier können sich freuen: Grünkernküchle ist ein sehr leckerer Ersatz für Frikadellen in Burgern, zum Beispiel. Und vegetarische Grünkernbutter schmeckt so gut wie, oder viel besser, feiner als Fleischrillette  oder Fleischpastete. Man muss es nur ein Mal probieren.  

Fränkischer Grünkern.

Ich sage nicht "leider", sondern wieder „zum Glück": Um zu probieren, muss man in die  Grünkernheimat, nach Bauland fahren, wo extra für Grünkernerzeugung die Dinkelsorte Bauländer Spelz angebaut wird. Der fränkische Grünkern ist eine regionale Spezialität und hat auch „Geschützte Ursprungbezeichnung“. Im Bauland kann man Grünkernsuppe oder Grünkernküchle in der Menükarte von fast jedem Restaurant oder Cafe finden. 
Grünkernküchle

Grünkernquark 

Weitere Spezialitäten, wie Grünkernkuchen oder Grünkernbutter, sind nicht so leicht zu entdecken, aber auch möglich. Besonders authentische Gerichte kann man finden, wenn man Urlaub auf  einem Bauernhof in der Gegend macht. Zwar übernachtete ich dort nicht, aber während meiner Reise im Bauland lernte ich nette Bäuerinnen kennen, die keine Geheimnisse aus ihren Rezepten machten. So hatte ich auf der Rückfahrt ein paar Packungen Grünkern von der „Vereinigung fränkischer Grünkernerzeuger“ und einige Rezepte als Mitbringsel in meinem Koffer.

Viele Informationen kann man auf der Webseite der Vereinigung finden:

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