Mein Redakteur will von mir immer etwas besonderes: Ein Text
wie ein Gedicht, wie ein Lied, wie ein Traum. Wenn es um Informationen geht,
dann nur um die der Insider.
Ja gut, dachte ich mir und habe ihm ein Thema vorgeschlagen:
die 60 Jahre alte Badische Straße, eine schöne Gegend, guter Wein, viele
Geheimtipps von den Insidern, wie er es mag.
Na ja, Wein! Da hatte er Bedenken wegen des
Alkoholwerbeverbots in Russland. Aber, gut, dennoch sollte ich fahren und
schreiben, es würde schon irgendwie werden...
So konnte ich es nicht lassen. Erstens, ich wohne in
Deutschland, hier gewöhnt man sich schnell daran, immer genau hinzuschauen,
genaue Fragen zu stellen und danach genaue Antworten zu finden. Zweitens, es ist
auch eine Art von Berufskrankheit. Drittens, zwei von meinen Freundinnen sind
Juristinnen, da guckt man sich manches ab.
Ich habe gegoogelt, überall gesucht und nicht nur den Text
des Gesetzes gefunden, sondern auch ein paar Interpretationen und Deutungen.
Zuerst das Gesetz:
Das Föderale Gesetz „Über Werbung“. Teil 3. Artikel 21.
Paragraf 2. Absatz 2:
„Die Werbung der Getränke, dessen Alkoholgehalt höher als 5
% ist, in Printmedien grundsätzlich verboten“.
Schreibe ich zwar eine Werbung? Könnte meine Geschichte als
Schleichwerbung definiert werden? Beide Fragen blieben offen, ich fand keine
Definition für die „Werbung“.
Okay, ich suchte weiter.
In einer Interpretation des Gesetzes stand: man darf über
die Traditionen und Sitten eines fremden Landes berichten; man darf auch über
die Neuigkeiten aus der Wein-Welt oder Bier-Welt berichten, ganz fromm aber,
ohne große Faszination; man darf sogar (!) in einem Rezept solche unmoralischen
Zeilen wie „100 ml Weißwein“ oder „1 EL Whisky“ lassen.
Ich las nicht nur die Zeilen, ich las sogar dazwischen. Ich
dachte nach.
Und dann entwarf ich ein Konzept für meinen Artikel:
„Schön, ich werde keine Marken, keine Firmennamen verraten,
ich werde nur die Orte erwähnen, wo diese „verbotenen Schätze“ produziert werden.
Gut, ich werde keine Bilder von Etiketten der Flaschen, an
denen der Produzent erkannt werden könnte, schießen. Ich werde nur die
Weinberge und die Winzer fotografieren.
Einverstanden, ich werde nicht um Weingenuss werben, ich
werde nur eine Story über das schöne Land erzählen.
Ich schrieb einen Artikel über die russische
Edelgesellschaft, die sich im 19. Jahrhundert in Baden-Baden und der Umgebung
amüsierte. Über die russischen Fürsten, die ihren Reichtum gern zur Schau
stellten. Über die russischen Damen, die mit Kleidern und ihrem Schmuck
protzen. Über die russischen Schriftsteller, Dichter und Diplomaten.
Ich schrieb über die neue Vornehmheit der Moderne. Über die
Langsamkeit. Über das „slow travel, slow food, slow vine“.
Ende April war mein Text fertig. Die Fotos waren bearbeitet.
Die Namen aller badischen Rebsorten und Arten des Weins wurden fachgerecht
übersetzt, eher transliteriert (Ich konsultierte eine Weinexpertin aus Moskau).
Und alles wurde an die Redaktion weitergegeben.
Und dann kam die große Überraschung.
Man darf das Wort „Wein“ im Text nicht verwenden.
-
Aber das steht doch nicht im Gesetz?
-
Verstehst du nicht, die haben einfach Angst vor
allem.
-
Was wirst du denn tun?
-
Vielleicht, das „verbotene“ Wort entfernen und
den Namen „Badische Weinstrasse“ unübersetzt lassen?
Es wäre absurd, ein Text über den Wein zu publizieren ohne
das Wort „Wein“ zu benutzen.
Diese Einstellung bedeutet, dass die Angst, die alte Angst
noch am Leben ist. Das bedeutet, dass die Leute es noch nicht verlernt haben,
zwischen den Zeilen des Gesetzes zu lesen und alles so zu interpretieren, wie
es von Gesetzgebern missbraucht werden könnte.
Eine Bekannte von mir konnte diese Situation nur so
darstellen:
Zuerst wird einem gesagt:
-
Warum sitzest du in der Mitte von Sofa? Rutsch
zu Seite!
-
Warum nimmst du hier so viel Platz ein? Du
kannst ganz gut auf einer Armlehne sitzen.
-
Wie wäre es, wenn du es dir auf dem Boden bequem
machst?
Und manche sind schon nach der ersten Frage bereit, sich
einen Platz auf dem Boden zu sichern.
Na ja, immerhin habe ich die schönen photos angeschaut! Das ist schon euphemistisch genug!
AntwortenLöschenhast du keine Kommentare zu Fotos gelesen? Das war schon direkt :)
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